Biografisch orientierte Pflege wird in vielen Häusern angeboten, aber wird sie auch gelernt und fortgebildet?
Die Zeiten, jene so gefürchteten Themen doch wieder anzugehen, werden akuter, wenn die Rede von Krieg in den Medien zunimmt und nun der Beginn des Ersten Weltkriegs vor der Türe steht: Am 1. August sind es 100 Jahre, und die Filme und Nachrichten werden noch zunehmen.
In Begleitung, Pflege und Betreuung brauchen wir die Fähigkeit, gut und gelassen reagieren zu können, denn die Mechanismen der Tabuisierung wirken schnell und sicher. Wenn auch wir ein Thema nicht ansprechen können und wollen, verspielen wir einen biografischen Teil, der unsere Alten entscheidend prägte.
Vorherrschend ist die Angst vor der Angst …
Die damaligen Erlebnisse waren mit einer großen Angst verknüpft, die immer noch darüber wacht, die aber nur befürchtet, nicht mehr real ist. Den Unterschied macht unser Erleben nicht, wir können ihn als Begleitende aber erzeugen, indem wir da sind, da bleiben und körperliche Signale der Nähe und der Entlastung geben. Das ist relativ leicht erlernbar und für jede Begleitung kritischer Situationen einzusetzen.
Die Scheu, die alten Themen von damals anzusprechen, lernen wir von den Alten
In all den frühen Erzählungen haben sie uns nicht nur vermittelt, dass wir das noch nicht verstehen, wenn wir etwas im Gespräch aufschnappten: Der war doch auch Nazi? WAS IST EIN NAZI??? Das verstehst du noch nicht! UND SEI STILL! So was fragt man nicht so laut.
Die Scheu wirkt weiter: Todesfälle, Traumatisierungen, Verwundungen, alles konnte den sorgenvollen Blick wieder wecken, und als Kind glaubte ich, dass man beim Fallen sterben kann (auf dem Feld geblieben, in Rußland, in Frankreich, gefallen) und dass man einen Fuß verlieren kann wie mein Vater.
Die Scheu bleibt uns auch in der Altenpflege: Jemand hat Schlechtes geträumt, von früher, und schon wollen wir ablenken, sprechen vom schönen Wetter. Oder bieten Beruhigungsmittel an, Schlafmittel, die Träume nicht an die Oberfläche kommen zu lassen.
Dabei ist eine abgeschlossene Erinnerung und das Einverstanden sein mit der eigenen Geschichte die beste Beruhigung und Vorbereitung für ein gelassenes Sterben, das wir uns doch eigentlich wünschen, auch wenn wir so wenig dran denken wollen. Die Angst wirkt beunruhigend.
Nur gutes Drama löst das Trauma:
Wir erleben alltäglich so viele falsche Dramatisierungen in den billigen Zeitungen, dass wir an keine heilsame Wirkung mehr glauben können.
Gutes Drama zeigt die Wirklichkeit, keine Übertreibung, professionelle Dramatisierung bringt die Realität in nachvollziehbare Darstellung. Bild von www.judenbank.blogspot.de
Verletzung braucht ehrliche Anerkennung,
So lange die Anerkennung des Schadens, der Schuld, der Situation nicht erfolgt ist, kann auch keine Beruhigung erfolgen: Die Aufregung bleibt, so lange andere die Situation herunterspielen wollen, so lange die Angst vor neuerlicher Verletzung bestehen muss.
erst dann folgt Versöhnung
Viele zu gut Meindende reden zu schnell von Versöhnung, wollen schon, bevor der Konflikt geklärt ist, eine sichere Lösung. Das ist wie ein Schnellverband auf ungereinigter Wunde: Es wird eitern und sich wieder entzünden, neue und katastrophale Folgen bringen: Wie manche schnell inszenierte Aussöhnung zwischen Staatsvertretenden ohne die Beteiligten Streithähne.
Zwangsarbeiter
In allen deutschen Landstrichen wurden nach Kriegsbeginn die Arbeitskräfte aus den besetzten Ländern eingesetzt:
Jugendliche Burschen und Frauen aus Polen, Ungarn, der Ukraine ersetzten die Männer, die im Krieg an den Fronten waren, die Frauen, die in der Rüstungsindustrie zu arbeiten hatten.
Dabei gab es klare Vorschriften: Getrennte Tische, keinen privaten Kontakt, Konzentrationslager und Todesstrafe für alle Übertretungen, sogar transportable Galgen und öffentliche Hinrichtungen zur Einschüchterung aller, die antreten und zuschauen mussten. Und bis heute wenig Anerkennung, kaum Entschädigung. Bauernlohn?
Familiengeschichten
In den Familien gibt es viele Geheimnisse, Interpretationen, Missverständnisse, Übertragungen unserer Gedanken in andere Biografien: Jede Person nimmt einen anderen Blickwinkel ein, und aus dem Theater wurde die Familienaufstellung und allerlei Interpretation entlehnt: Wir holen die Szenen in den Alltag zurück, nur die Beteiligten selbst haben das Recht zur Interpretation, die Begleitenden bringen später ihre eigenen Empfindungen, aber KeineR deutet von oben.
TABU schützt und hindert uns
Theater kann in Szenen die Tabus sichtbar machen und im szenischen Dialog das Dilemma der Auflösung nachvollziehbar gestalten:
Das Tabu ist heilig und hindert uns aber auch an der Auseinandersetzung: Das Grundwissen um die jeweiligen gesellschaftlichen und familiären Verbote kann uns helfen, die Gefühle um die diversen Vorgänge einzuordnen: Schwangerschaften und Übergriffe, Strafen und Taten, ….
Hilfen in Gruppen und Ausbildungen
Es gibt seit Jahren zahlreiche Gruppen der Selbsthilfe zu den Themen der Kriegskinder, Kriegsenkel, Nachkriegskinder, zu Folgen der Flüchtlingssituation und des fremd-Bleibens in den neuen Ansiedlungs-Regionen. Migranten können ihre Erfahrungen nur einbringen, wenn sie auf Gespräch und Verständnis stossen.
In der Altenpflege braucht es Anerkennung
Bisher wird eher mit Beruhigungsmitteln das Thema eher unterdrückt, wenn SeniorInnen von ihren Träumen aus Bombenkellern und Fronteinsätzen träumen und erzählen wollen. Schnell in die Realität zurück und zum Frühstück, oder Pillen?
Die Fähigkeit, die Themen so einzufangen und zu bearbeiten, dass die Konzentration bei der Person bleibt, dass sie selbst das Geschehen steuert, dass wir als Begleitende einfach nur aufmerksam und unterstützend, statt abwiegelnd und ängstlich sind, lässt sich in Theaterszenen erproben und einüben, die gleichzeitig eigene Geschichte wach einordnen und in der Beruhigung erleben lassen.
Geschichtsarbeit kann eine Hilfe sein
Die Einordnung der Familiengeschichte in der damaligen Zeit kann durch gute Literatur und durch bildhafte Beschäftigung unterstützt werden, die Ausbildung in biografischer Pflege sollte zumindest die Eckdaten unserer Senioren und ihrer Herkunftszeiten beinhalten:
Erziehungsschäden durch Gewalt, Mißbrauch und Zwang, Schulschädigungen durch sadistisches Prügeln bis in die 70er Jahre … und so manchen beruflichen Zwang, der in den letzten Jahren so nicht vorstellbar war, sollten wir einschätzen können und die Grenzen zu professioneller Hilfe finden. Bild: Erich und Zenzl Mühsam
Gestalttherapie und -Coaching braucht keine Jahre auf der Couch
In der Gestalt-Arbeit gehen wir den körperlichen Befindlichkeiten und den Bildern nach, die auftauchen, die ans Licht kommen wollen, und begleiten dabei, sie ins heutige Maß zu bringen:
Die Angst davor ist zuerst größer, weil sie aus dem damaligen Schrecken gespeist ist, und die heutige Erfahrung, überlebt zu haben, selbst steuern zu können, wie ich mich an die Erinnerung annähere, braucht etwas Gewöhnung und Zeit, und der Körper erwirbt das Vertrauen in den langsamen Vorgang.
Die Grenzen des Geschehens einschätzen
Theater muss, im Gegensatz zur Realität, das gute Ende schon in der Einladung signalisieren können:
Wie geht ein Abend zu Ende, der Spannung und Lösung versprechen will? Wie können wir die Auseinandersetzung mit Bombennächten, Sterbenden, Kriegsschuld, Zwangserlebnissen und Mißbrauch in unserer eigenen Psyche verarbeiten?
Fortbildung bringt neben der eigenen Gelassenheit und Ruhe den kompetenten Umgang mit Angehörigen
Oft sind es die Anhehörigen mit schlechtem Gewissen und der wenigsten Zeit, die den Tod der Eltern nicht kommen lassen können: Die unbewussten Gefühle der persönlichen Verpflichtung zur Pflege und die Sorge um das Vermögen üben einen Druck aus, dem wir professionelle Kompetenz entgegen stellen müssen: Den Willen der Alten und Sterbenden, den Wunsch nach Auseinandersetzung und Abschluß.
Eine Fortbildung kann im Haus, in der Ausbildung oder über weitere Träger organisiert werden. http://forumtheater.wikispaces.com/Altenpflege+und+Kriegstrauma
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