Manche meiner LehrerInnen hatten in ihrem Leben heftiges durch gemacht: Die demokratische Veränderung wurde zu ihrem wichtigsten Ziel: Augusto Boal, Paulo Freire und Robert Jungk zum Beispiel. So entstand auch Legislatives Theater.
Der eine, Robert Jungk, war 1933 nach dem Reichstagsbrand aus Berlin geflohen, nach dem ihn die Hausmeister beim Abreißen von Nazi-Plakaten erwischt hatte, und nur durch einen klugen Trick kam er frei und konnte nach Österreich und in die Schweiz fliehen,
sein Engagement, die Judenverfolgung und Konzentration in die internationale Presse zu bringen, wurde von vielen Kräften behindert,
später nach Erfahrungen in den USA als kritischer Wissenschafts-Journalist begann er, vor den Gefahren der Atomenergie und der Atomwaffen zu warnen,
im Kontext der Friedensbewegung setzte er sich für partizipative Methoden der beteiligenden Bildung ein, wie sie die Zukunftswerkstatt darstellt, die von einem großen Kreis von Moderierenden seit den 80er Jahren in Jahrestreffen reflektiert und weiter entwickelt wird, demnächst Ende April 2018 im Burgenland.
Augusto Boal hatte das Theater der Unterdrückten entwickelt, zuerst in der Arbeit mit politischen Gruppen in südamerikanischen Ländern, dann auch in Europa,
nach einer Rückkehr wurde er gefoltert, „weil er sein Vaterland Brasilien im Ausland verleumdet hätte, in dem er in Europa behauptete, dass in Brasilien gefoltert werden würde …“ wozu er als logisch denkender Mensch lachen musste, durch internationale Proteste kam er frei und für ein Jahrzehnt ins Exil nach Europa.
Seine Theater-Methoden bauten auf dem pädagogischen Konzept von Paulo Freire auf, der mit der Pädagogik der Unterdrückten auch die Namens-Vorgabe zum ersten umfassenden Konzept gab: Theater der Unterdrückten.
Paulo Freire benannte in den 60er Jahren das bei uns bis heute herrschende Schulprinzip als Bankiers-Konzept: Die Lehrenden machen eine Einlage ins Gehirn der Lehrenden und fragen die Wiederholung ab, ähnlich, wie es der „Nürnberger Trichter“ hierzulande schon früher kritisiert hatte:
Unsere bayrischen Schulverantwortlichen glauben immer noch an die Funktionen der Stoff- und Wissens-Einlagen, wenn sie allmählich auch die Fertigkeiten daneben anerkennen, denn alle klügeren Lehrenden sind längst weiter, als die Vorschriften erlauben würden …
Forumtheater
Die wichtigste Neuerung unter den Theater-Methoden, die er in der Tradition der Forschungen von Bert Brecht und von Erwin Piscator weiter führte, waren die gemeinschaftliche Erstellung exemplarischer Szenen und die möglichen Lösungen durch Beteiligte aus dem Publikum.
Dies hatte sich aus dem Agitations-Theater der gewerkschaftlichen Arbeit und Kämpfe entwickelt, in dem zuerst versucht worden war, die Bewusstseinsbildung bei den Arbeitenden durch Aufklärung der Hintergründe von Lohnverhandlungen und Preisentwicklungen, Familien-und Gemeinde-Situationen in Beteiligung anzusiedeln.
Eine ganze Menge Theater-Methoden
wie Bilder- und Statuen-Theater, Zeitungstheater, unsichtbares Theater, wurden durch die aufkommende neue Theater-Bewegung der 70er und 80er Jahre quer durch die Welt verbreitet und in Abwandlungen von Bauern- und Volkstheater vom Literatur-Theater abgegrenzt, was heute viel mehr in der performativen Bewegung weiterlebt, nur selten in die Staats- und Stadttheater Eingang fand.
Der Weg zum Legislativen Theater
Nach dem Ende der Militärdiktatur in Brasilien (bis zum Ende freundlich unterstützt von F.J.Strauß) konnte Augusto mit seiner Familie auch offiziell wieder zurück nach Rio de Janeiro und begann dort, „Volks-Theaterfabriken“ aufzubauen, doch die unterstützenden Politiker waren bald wieder weg. Dann fragte ihn die Arbeiterpartei PT, mit seiner inzwischen aufgebauten Theater-Gruppe ihren Wahlkampf zu gestalten: Für uns ein wenig an Carneval erinnernd, kandidierten 1400 Leute für den Stadtrat, in erster Linie als Person, in kleinerer Darstellung für eine Partei: Und sie luden Augusto ein, für sie zu kandidieren.
Erst wollte er nicht so recht, denn er hatte für sein Auskommen noch viele Termine in anderen Ländern und Europa zugesagt, doch wurde ihm erklärt, dass er dann ja seine Theatergruppe und weitere Mitarbeitende anstellen könne, denn jedeR Vereador hat einen Mitarbeitenden-Stab, ähnlich vielleicht dem Berliner Senat.
Als die wichtigsten Sitzungen doch in seinem Terminkalender unterzubringen waren, sagte er zu und wurde – durch die presse-ansprechenden Auftritte auch wahrgenommen und gewählt.
Die Mitarbeitenden entwickelten mit ihm die neuen Methoden, in denen aus Kerngruppen wie Marktleuten, Behinderten, schwarzen Studierenden, Schwulen etc. die gesetzlichen Problematiken in Szene gebracht wurde, in Festivals die Themen gegenseitig vorgestellt und von Mitarbeitenden der Verwaltung die nötigen gesetzlichen Veränderungen ausgearbeitet wurden.
Etwa 63 Gesetzesvorschläge wurden in den Jahren des Mandates 1992 -1996 ausgearbeitet, 13 wurden direkt vom Stadtparlament angenommen, einige andere mit den Veränderungen durch das Parlament.
Wie Legislatives Theater wirkt:
Eine Gruppe erstellt eine Szene, in der sie eine als Unrecht empfundene Situation mit negativem Ende vorstellt. Das Publikum soll zuerst Lösungsvorschläge für die agierende Person finden, dann die Situation rechtlich bewerten: Passt die Rechts-Situation, wie müsste ein aktueller Gesetzesvorschlag lauten?
Fraktionen übernehmen die Rollen der möglichen Interessens-Vertretenden: Wer hat welches Interesse an den bestehenden Verhältnissen, wer könnte an der Veränderung auch interessiert sein?
Wie kann eine Veränderung erreicht, geschildert, vermittelt werden?
Diese not-wendigen Anteile der Bewusstseinsbildung wurden durch die Befreiende Pädagogik und die Pädagogik der Hoffnung durch Paulo Freire deutlich gemacht: Bis in die Theologie der Befreiung wirkt die Haltung des Verantwortung übernehmen für das, was du bewegen kannst, und organisieren, was du an Hilfe dazu brauchst, im Gegensatz zum ver-antwort-ungslosen beten, jammern und moralisieren, das anderen die Schuld zuweist, aber selbst nicht verändern will.
Europäische Konferenz zum Legislativen Theater München 1997
Beim Internationalen Treffen zum Theater der Unterdrückten im Mai 1997 war es viel um den „Regenbogen der Wünsche“ gegangen …
Vor grade 20 Jahren im Rathaus München:
In einer europäischen Konferenz an der Hochschule München hatten wir im Oktober 1997 die Möglichkeiten untersucht, die Methoden des Legislativen Theater auch in europäischen Situationen anzuwenden.
Beim internationalen Treffen in Toronto hatten bei den Workshops die Farben des Regenbogen der Wünsche die aktuellsten Arbeitsweisen beherrscht, wobei im breiten Kontext von Indien und Japan, von europäischen und den süd- und nordamerikanischen Ländern viele Erziehungs-Kulturen in den Vergleich kamen.
Die Erarbeitung und Vorstellung beschrieb Augusto Boal in seinem Schlusskapitel als „Symbolism in Munich“ im englischen Buch „legislative theatre“, in meiner Übersetzung abgedruckt im „Theater im Dialog“… und irgendwo im Netz …
Gut 30 Theater-KollegInnen aus Brasilien, Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Schweden, Österreich und Deutschland trafen sich in München, um neben Erfahrungsaustausch und -Weitergabe ihrer Arbeitsweisen mit dem Theater der Unterdrückten die neue Anwendung im Feld der Politik für ihre eigenen Länder zu entwickeln.
Die Teilnehmenden der Konferenz haben mit Studierenden und Interessierten Szenen aus dem eigenen Erleben erarbeitet, um sie dem Publikum im Kleinen Sitzungssaal des Rathauses vorzustellen:
* Gewalt in einer binationalen Ehe bringt die Problematik der modernen Sklavenhaltung durch unser aktuelles Ausländerrecht zutage
* Eine verdeckte schwul-lesbische Doppel-Hochzeit sollte die Situation einer Ausländerin und die Liebe von zwei Paaren schützen und legalisieren
* Der Stadion-Neubau auf den begrenzten Flächen der Bürger macht Geschäfts-Interessen sichtbar – und auch Kultur-Verhältnisse überbezahlter Dirigenten?
* Kann ein garantiertes Grundeinkommen die Situation belasteter Familien verbessern?
* Wer hat wieviel Platz zum Leben und wie gestaltet es sich gemeinsam?
* Unsere unbewältigte Vergangenheit rülpst ausgerechnet zur Reichs-PogromNacht wieder in der „Hauptstadt der Bewegung“? (im Rathaus nicht vorgestellt)
* Der rassistisch überraschende Überfall in der U-Bahn
Wir hatten in mehrtägigen Workshops, vormittags angeleitet durch die KollegInnen, nachmittags mit Augusto, fünf uns wichtige Szenen erarbeitet, die wir am 26.10. im Rathaus-Sitzungssaal dem Publikum und wenigen Stadträten vorstellten, denn der Oberbürgermeister, hatte, was wir nicht wussten, an diesem Tag seinen 50. Geburtstag … was unsere Zielgruppe dezimiert hatte.
Linz 2004
Die Arbeiterkammer Linz organisierte im Jahr 2004 eine Fortbildung mit Augusto und seinem Sohn Julien Boal und den örtlichen KollegInnen, in der die Umsetzung des Legislativen Theater an aktuellen österreichischen Themen durchgespielt wurde.
Weitere Methoden
wie das Parlament auf der Straße entstanden „nebenbei“: Eine thematische Diskussion mit zum Teil vorbereiteten Texten, auch Original-Texten der dargestellten gegnerischen Seite, so weit Protokolle aus den Sitzungen vorhanden sind, um dem Publikum die Argumentationen sichtbar zu machen.
In jenen Jahren war es noch nicht denkbar und technisch möglich, so viele Einzelheiten aus den Sitzungen in Filmen und Berichten zu übertragen und darzustellen …
Demokratisierende Methoden
müssen nach der Fortsetzung des „3. Reiches“ im Postfaschismus der BRD und anhaltend in Bayern aus den anderen Ländern kommen:
Robert Jungk hatte die grundlegenden Ideen zur Zukunftswerkstatt aus der Begegnung mit dem italienischen Arbeiterpriester Danilo Dolci, er lernte als Wissenschafts-Journalist in allen seinen Arbeitsbereichen, die heute als Zukunftsbibliothek in Salzburg archiviert sind. Das entspricht der lernenden Haltung von Paulo Freire und Augusto Boal, die uns ihre demokratischen Methoden hinterlassen haben, für den regen Gebrauch …
Möglicher Teil-Beitrag zum neuen Buch von Harald Hahn zur Praxis des Theater der Unterdrückten
Materialien zur Europäischen Konferenz zum Legislativen Theater München:
1 Pingback